Möglichkeiten und Risiken des Unterrichtens mit digitalen Medien – Fazit nach 1 Jahr

Nach einem Jahr Leitung der 1. Tabletklasse am Clara-Fey-Gymnasium  möchte ich ein Fazit in mehreren Thesen ziehen.

1. These: Motivation, Motivation, Motivation!

Auch nach einem Schuljahr Unterricht mit einem 2-in-1-Gerät in (fast) allen Fächern bleibt die Motivation der SchülerInnen konstant hoch: Die Lust, mit dem Gerät zu arbeiten, die erweiterten Möglichkeiten digitalen Arbeitens (Links, Fotos, Videos, Standbilder, Textüberarbeitungen, Recherche, usw.) gehören mittlerweile zum selbstverständlichen und unverzichtbaren Repertoire. Die Erfahrung des Netzes als großer, dennoch abrufbarer Wissensspeicher, des Geräts als technische Grundlage eigenen produktiven Arbeitens, die Entdeckung jederzeit möglicher Erweiterungen – dies und vieles mehr hält die SchülerInnen bei der Stange: Niemand möchte mehr zurück in die „Kreidezeit“. Und jede/r LehrerIn weiß um den hohen Wert motivierter SchülerInnen für deren Lernerfolg.

 

2. These: #zeitgemäße Bildung

Den Begriffsvorschlag „zeitgemäße Bildung“ von Dejan Mihajlović verwende ich hier einmal, um auf die Verantwortung von Schule hinzuweisen: Es gibt überhaupt keinen Grund mehr, die „Digitalisierung der Gesellschaft“ auszublenden und so weiterzumachen wie bisher.  Verglichen mit der Erfindung des Buchdrucks – und die Digitalisierung ist mit diesem kulturhistorisch-evolutiven Quantensprung vergleichbar – stehen wir erst am Anfang des 16. Jahrhunderts. Darauf muss Schule reagieren: Neue Arbeitsmittel, neue Arbeitsformen müssen auf veränderte Studien- und berufliche Anforderungen vorbereiten.

 

3. These: Zentral: die 4 K’s (Kollaboration, Kommunikation, Kreativität, Kritisches Denken)

Sie sollen die Skills des 21. Jahrhunderts sein. Zumindest sind sie zentrale Kompetenzen, die durch die Arbeit mit digitalen Medien in besonderer Weise gefördert werden:

  • Kollaboration (z.B. auf einem Wiki), Lernen mit- und voneinander in einer Weise, wie sie nur mit digitalen Medien möglich ist.
  • Wer meint, es würde nicht mehr miteinander gesprochen, irrt: Der Klassenraum lebt, in den Kleingruppen wird intensiv miteinander kommuniziert. Besonders in der Mittelstufe hilft diese Arbeitsweise SchülerInnen über ihre Scheu, vor großen Gruppen zu sprechen, hinweg. Ergänzend findet die (außerunterrichtliche) Kommunikation über soziale Netzwerke statt.
  • In einer Welt, die  automatisierbare Aufgaben zunehmend den Maschinen überlassen wird, ist menschliche Kreativität  ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal: Sie ist ein Schlüssel zur selbst bestimmten Autonomie. Zentrum der Digitalisierung muss stets der Mensch sein/bleiben:  Die Maschine soll ihm dienen, nicht umgekehrt.
  • Damit zusammen hängt das kritische Denken: Neben dem Lernen mit Medien gilt es stets, das Lernen über Medien, z.B. durch Reflexionen des Medieneinsatzes, zu unterstützen. Ökonomische, z.T. auch politische Bestrebungen zielen auf den willigen Consumer / Bürger, der Mensch muss aber immer auch seiner Würde gemäß die nötige Distanz zur Maschine durch den Einsatz des eigenen Verstandes wahren: Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen – hier ist der alte Kant noch heute aktuell.

 

4. These: Stärkung eigenständigen Lernens

Den binnendifferenzierten Unterricht, den die „analoge Schule“ stets zu erreichen versuchte, kann die digitale realisieren: Im Extremfall lernt jede/r SchülerIn z.B. in ihrem/seinem eigenen Tempo, ihren/seinen individuellen Fähigkeiten gemäß, auf ihrem/seinem Lernweg, der anders aussieht als der des Nachbarn. Dazu verhelfen u.a. interaktive Videos und Lernapps, die auf die jeweiligen Antworten der SchülerInnen individuell reagieren, Binnendifferenzierung ist aber auch Ausdruck vielfältiger, von der Lehrperson erteilten Aufgaben, die (in der Schule) zur gleichen Zeit von unterschiedlichen SchülerInnen bearbeitet werden können.

„Früher“ arbeitete die gesamte Lerngruppe in der gleichen Zeit mit den gleichen Methoden und Fragestellungen an derselben Aufgabe, die anschließend gemeinsam besprochen wurde. Unterschiedliche Fähigkeiten, Lerntypen und Arbeitsweisen konnten sich kaum entfalten – diese Möglichkeit bietet nun der Einsatz digitaler Medien.

Diese Arbeitsweise erfordert auf der anderen Seite ein deutliches Plus an Eigenverantwortung. Die Transparenz der Arbeit  auf dem Wiki und seine Versionsgeschichte dokumentieren lückenlos die Aktivitäten aller SchülerInnen und ermöglichen mir Einsichten in ihr Arbeitsverhalten. Meine Erfahrungen zeigen, dass diejenigen sich in dieser neuen Lernumgebung schnell wohlfühlen und sie prägen, die sich auch bisher gut organisieren konnten. Ebenso zeigt sich, dass die entgegengesetzt arbeitenden ca. 15 % der SchülerInnen immer wieder aufgefordert und „ermuntert“ werden müssen, und die große dazwischenliegende Gruppe sich durchaus zusätzlich angetrieben fühlt.

Effiziente Techniken zur Organisation der eigenen Arbeit zu entwickeln, besonders in einer Lebensphase, in der sich neben Schule weitere, subjektiv interessantere Perspektiven ergeben, ist für viele SchülerInnen eine Herausforderung. Strukturieren und Organisieren zeigen sich in der digitalen Schule als fundamental wichtige und folgenreiche Kompetenzen. Eine Hausaufgabe fand sich recht schnell im entsprechenden Heft, die Suche nach der Datei kann sich jedoch endlos gestalten, wenn ich nicht organisiert arbeite. Ein Wiki leitet zum strukturierten Arbeiten an: Übersichtliche Listen, eine überschaubare Anzahl an Werkzeugen, Textfokussierung, geringe Ablenkungsmöglichkeiten tragen dazu bei, relativ leicht den Überblick zu gewinnen und durch konsequentes Arbeiten zu behalten. Ständige Auswertung des Lehrers, seine Pflege des Wikis, bleiben weiterhin notwendig und ermöglichen direkte Eingriffe bzw. individuelle Hinweise und Tipps.

 

5. These: Eltern wollen das.

Am Beginn unserer Tabletklassen steht ein Abend gemeinsam mit der Schulleitung, Eltern und Kindern (Siebtklässlern). An diesem Abend wird die Arbeit mit den Tablets vorgestellt und besprochen. Ebenso entscheiden sich die Eltern, ob sie ihren Kindern das Gerät (ca. 200 €) kaufen möchten. Da diese Einwilligung eine Säule unseres Konzepts ist, hat dieser Abend eine entscheidende Bedeutung. Mittlerweile ist es für mich keine Überraschung mehr, dass alle Eltern, bis auf ganz wenige Ausnahmen, dem Einsatz digitaler Medien in der Schule sehr positiv gegenüber stehen. In ihren Berufen sind sie täglich „digital unterwegs“, sie kennen die Bedeutung sachgerechter Vorbereitung auf die Arbeitswelt. Auch in den meisten Studiengängen sind digitale Medien alltägliches Werkzeug. Somit sind solche Abende erfahrungsgemäß Highlights am Beginn der Tabletklassen: Schulleitung, Eltern, LehrerInnen und Kinder entscheiden sich gemeinsam für eine bestimmte Arbeitsweise in der Schule. Ein starkes Zeichen!

Weiterhin lässt sich, etwa anlässlich von Elternsprechtagen oder Elternabenden, feststellen, dass die Eltern auch nach dieser Entscheidung und im weiteren Verlauf der Arbeit das Projekt „tragen“ und somit einen wesentlichen Beitrag leisten, es erfolgreich zu gestalten.

6. These: gerechtere Bewertungen

Zunächst mal kurz zu den Leistungen selber: Lernen die SchülerInnen der „digitalen Schule“ genauso gut und viel wie die in der „analogen“? Oder halten sie sich so viel mit technischen und medienpädagogischen Fragen und Hindernissen auf, dass das Fachliche darunter leiden muss? Unterschiedliche Studien belegen unterschiedliche, sich widersprechende Ergebnisse. Meine Erfahrung ist eindeutig: Im Vergleich mit den früheren Leistungen derselben SchülerInnen in der „analogen“ Schule sind die Leistungen in den Fächern Deutsch, kath. Religion und Politik – hier stehen vor allem Texte im Vordergrund – besser geworden. (Natürlich hinkt der Vergleich: Es handelt sich zwar um dieselben SchülerInnen, aber nicht um dieselben Themen und Prüfungen, usw.) In diesem Bereich sind eindeutige Aussagen auch kaum erwartbar. Aber der Trend ist nach meiner Erfahrung klar erkennbar: Die kollaborative Arbeit auf dem Wiki, das permanente Peer-Feedback, die Aktivierung der Schülerkompetenzen zur Verbesserung etwa von Texten im Deutschunterricht hinterlassen Spuren, die sich in besseren Leistungen widerspiegeln.

Nun zur Bewertung: Die Arbeit auf unserem Wiki erlaubt allen, auch mir, den permanenten Zugriff auf alle Schülerleistungen. Bewertungen erfolgen demnach nicht mehr nur punktuell, etwa in den Präsenzstunden, sondern können flächendeckend jederzeit und von überall aus erfolgen. Das ermöglicht mir eine deutlich gerechtere Bewertung der Schülerleistungen.

 

7. These: Risiko Oberflächlichkeit 

Der Bildschirm leuchtet, flimmert. Verschiedene Reize melden sich. Bilder, Videos, Bewegung, Werbung. Da fällt es schwer, sich zu fokussieren, zu konzentrieren. Der nächste Reiz: nur einen Klick weit entfernt. Fördern digitale Medien den ohnehin grassierenden Trend zur Oberflächlichkeit, zur schnellen Kost, zum bequemen Konsum? Ohne Zweifel: Ja. Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich den Zugang zum Internet oder ein Textblatt vor mir habe. Und wenn ich die (digitalen) Deutsch-Arbeiten meiner Schüler*innen lese, fallen mir fehlende Konzentration, Flüchtigkeit, mangelnde Sorgfalt auf.  Parallel unterrichte ich auch noch „analog“, und diese Arbeiten sind, was die Fehlerhäufigkeit angeht, nicht immer besser, sodass ich mindestens von sehr ähnlichen Ergebnissen sprechen kann.

Ist die Beherrschung der Rechtschreibung und Grammatik in 10 Jahren überhaupt noch ein Thema? Oder erledigt diese Aufgabe Technik, der wir die Sätze diktieren?

Selbst wenn wir zukünftig standardisierbare Arbeiten an Maschinen delegieren werden: Die uns eigene Kreativität, Originalität und Flexibilität kann nur dann vielfältige, komplexe Ausdrucksformen erlangen, wenn wir, möglichst viele von uns, Rechtschreibung, Grammatik, alle sprachlichen Ausdrucksformen so gut wie möglich beherrschen.  Deshalb ist sorgfältige, entschleunigte, tief gehende Arbeit an und mit Sprache notwendig, z.B. im Deutschunterricht.  Manchmal geht es dabei bis ins Komma, bis in den Laut, bis in den Buchstaben hinein. Wenn wir diese (sprachlichen) Fähigkeiten vermitteln, wird auch zukünftig der (mündige) Mensch mit der Technik umgehen und nicht umgekehrt.

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