Kürzlich ermöglichte ich einem Deutsch-Kurs, eine Hausaufgabe (Biografie eines Schriftstellers verfassen) analog oder digital – gemeint war hier das Schreiben mit dem Stift oder mit der Tastatur – zu erstellen. Die digitale Version sollte zwei sachgerechte Links sowie ein YT-Video enthalten. Das Ergebnis war ernüchternd: Die digitalen Texte – etwa 20% des Kurses hatten sich dafür entschieden – enthielten größtenteils zusammengefügte Kopien (ohne sie als Zitate zu kennzeichnen), die „Links“ wurden als Quellenangaben missverstanden und, wie der Link zum YT-Video, ohne erkennbaren Zusammenhang, unvollständig und unmotiviert, unter den Text gesetzt.
Diese Ergebnisse hatte ich selbst mit zu verantworten: Die Schüler waren mit der Aufgabe überfordert, so etwas hatten sie in ihrer elfjährigen Schulzeit noch nicht leisten müssen. Das digitale Medium, das sie täglich begleitet, das Smartphone, nutzen sie als Kommunikationsmittel, auch YT-Videos werden damit angeschaut, ggf. im Netz gesurft und telefoniert. So gut wie unbekannt ist den Schülern das Gerät als Arbeitsmittel.
In diesem Zusammenhang wurde mir aber bewusst, wie weit die Schüler der Tabletklasse (Jgst. 8) nach einem halben Jahr „digitaler Schule“ bereits sind:
- Ihnen ist bewusst, dass Zitate als solche gekennzeichnet werden müssen, sie haben Kenntnisse zum Urheberrecht erworben und wenden sie an
- Sie mögen keine Plagiate, weil sie keinen eigenen Erkenntnisfortschritt bieten
- Sie kennen die Funktion von Links als Querverweise und wissen sie größtenteils korrekt anzuwenden
- Sie wählen den anzuzeigenden Text (über dem Link) sachgerecht
- Sie erkennen die Textstellen, die sich zum Einfügen von Links (und YT-Videos) eignen
- Die meisten von ihnen können seriöse, informative Quellen vom Gegenteil unterscheiden (Untersuchung des Inhalts, Impressum)
- Sie wissen, wie man zielgerichtet recherchiert, auch nach brauchbaren YT-Videos
- Sie können Links und Quellenangaben unterscheiden und auch letztere überwiegend korrekt formulieren
Das alles ist eigentlich gar nicht so viel und nur ein kleiner Ausschnitt unserer täglichen Arbeit, und dennoch sind sie den älteren, mit „digitaler Schule“ nicht vertrauten Schülern, um Längen voraus.
Mittlerweile sehe ich einen solchen Zuwachs an Lehr- und Lernpotential der „digitalen Schule“, dass ich selbst den noch immer rein „analog“ ausgerichteten Abschluss- und Abiturprüfungen gegenüber, denen sich diese Schüler werden stellen müssen, sehr optimistisch bin: Natürlich werden sie all die Möglichkeiten, die sich ihnen jetzt bieten, nicht ausschöpfen können. Den bekannten und jahrelang eingeübten Anforderungen werden sie trotzdem gerecht werden. Gleichzeitig werden sie erfahren, welche Möglichkeiten „digitalisierte Umgebungen“ bieten und werden deren Gefahren gegenüber zukünftig gefeit sein.