Ich kann mich noch gut an den Aufschrei erinnern, als es um die finanzielle Unterstützung erster schulischer Projekte durch Sponsoren ging: Bloß keine Abhängigkeiten von der Wirtschaft, Bildung und Ökonomie haben nichts miteinander zu tun! Müssen wir demnächst Werbeplakate aufhängen? Der sog. „PISA-Schock“, der Bologna-Prozess, Unzufriedenheiten potentieller Arbeitgeber: Das und mehr hat uns G 8, standardisierte Prüfungsleistungen und Analysen eingebrockt, die schon früh – zu früh – die berufliche Tauglichkeit der Schüler messen, prüfen und sie in Kategorien einteilen.
Im Studium verschärft sich, was sich im Gymnasium anbahnte: die totale Verschulung, ein randvoll gepackter Stundenplan, Pflichtprogramm ohne Raum für Kür. Was bedeutet uns Bildung? Welche Auswirkungen haben 24jährige Hochschulabsolventen, fit in ihrem Fach, geschult im Konkurrenzdenken, aber ohne die Chance, soziale Kompetenzen erworben, Lebenserfahrungen gesammelt zu haben, für Betriebe?
Wie konnte aus uns (ich bin Jahrgang 1961) etwas werden? Schule war mittags vorbei, wir spielten mit denen im Dorf, die gar nicht in unserer Klasse waren, sondern andere Schulen besuchten: Somit war Schule nachmittags auch kaum ein Thema. Buden bauen, auf Bäume klettern, die Buden der anderen zerstören, Bolzen und Songs auswendig lernen: Es gab so vieles, das Spaß machte und das Leben lebenswert. 25% unentschuldigter Schulstunden in der Oberstufe bedeuteten, dass der Kurs nicht angerechnet wurde. Viele von uns fehlten demnach exakt 24% ohne Entschuldigung. Wen kümmerte das?
Schule war ein Thema unter wichtigen anderen. Lehrer waren geborene Gegner der Schüler. Im Vergleich zu heute waren die offiziellen Abiturfeierlichkeiten lächerlich bescheiden – dafür feierten wir ausgiebig privat. Das Abiturzeugnis holte sich folgerichtig nicht jeder persönlich ab. Es wurde ja auch per Post zugestellt.
Im Studium boten sich Zeit und Raum für andere Fachrichtungen, zum Reisen, Theaterspielen, Menschen kennenlernen, die man sonst im ganzen Leben nicht mehr getroffen hätte. Abends wurden die Türen nicht zum Lernen abgeschlossen, sondern ausgehängt, um gemeinsam zu feiern.
Natürlich hat sich in den letzten 40 Jahren vieles im Berufsleben verändert. Das heutige Tempo, die Fülle an Aufgaben, eingeforderte Flexibilität, Technisierung und lebenslanges Lernen – all das konnte sich damals kaum jemand vorstellen. In einer globalisierten Wirtschaftswelt bieten diese gesteigerten Anforderungen das Fundament unseres Wohlstands. Darauf muss Schule vorbereiten, das ist richtig. Aber bitte immer mit Augenmaß: Schüler und Studenten sind in erster Linie Menschen in einer mitunter schwierigen und holprigen Entwicklungsphase. Sie brauchen Zeit, Auseinandersetzung, Orientierung, Möglichkeiten, sich (auch ohne Kosten-Nutzen-Rechnung) auf Umwege zu begeben und so reifen zu können.